Oskar Mahler | HAMMER STORY
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Aus HAMMER MUSEUM wird HAMMER STORY

Am 8. August 2005 habe ich meine Installation Hammer Museum eröffnet. Ich habe mir
erlaubt, dieses Kunstwerk ein Museum zu nennen, wohlwissend, dass ich weder die Absicht
hatte, ein Archiv anzulegen, noch mit meinen Exponaten wissenschaftlich zu arbeiten. Das
Hammer Museum war also eher eine Sammlung oder, wie es manche ausgedrückt haben, ein
Sammelsurium.

Ein damals 14jähriger hat gesagt:

»Hämmer sammeln ist ganz schön bekloppt, aber irgendwie cool.«

Ja, es war cool, über einen Zeitraum von 14 Jahren die beste Schuhmacherei Deutschlands,
also einen Tempel des Handwerks, mit meiner Kunst krönen zu dürfen, es war mir eine große
Ehre und ich habe es mit ganzem Herzen getan. Ich bin stolz darauf, was ich mir damit
erarbeitet habe und der Besitz der Hämmer, der hier zusammen gekommen ist, macht mich
reich, reich an Begegnungen, reich an Erfahrung, reich an Geschichten, die ich über diese
Zeitspanne hinweg zugetragen bekam oder meinen Besuchern vermitteln durfte.

Signaturhammer

Einen Tempel mit einem Kunstwerk krönen zu dürfen, ist ein für das Bahnhofsviertel
bekannter Vorgang, denn dies ist schon einmal geschehen, nämlich im Jahre 1889, als der
Bildhauer Gustav Herold mit der Atlas Statue unserem Tempel der Mobilität, dem Frankfurter
Hauptbahnhof, Metall aufs Hauptportal gesetzt hat.

Die Architekten Hermann Eggert und Johann Wilhelm Schwedler hatten ihren Auftrag, einen
höchste künstlerische Kraft herausfordernden Denkmalbau zu errichten, erledigt, das
prächtige Gebäude stand vor einer damals leeren Fläche, dem heutigen Bahnhofsviertel 500
Meter entfernt von der Stadtmauer – doch es fehlte noch etwas – der krönende Abschluss.

Das steinerne Podest auf dem Scheitelpunkt der Portalkuppel war leer und man durfte
gespannt sein, welcher der 18 zum Wettbewerb aufgerufenen namhaften Bildhauer den
Zuschlag bekommen würde, ein Kunstwerk zu schaffen, das die Funktion und die Bedeutung
des damals größten Bahnhofs Europas würde bildlich fassen können.

Der deutsch-schweizerische Bildhauer Gustav Herold, der am Städel studiert und viele
Auftragsarbeiten für König Ludwig gefertigt hatte, bekam den Zuschlag.

Soldatenhammer, Erster Weltkrieg

Der Anblick seiner Atlas-Statue ist für viele so alltäglich geworden, dass sich wenig
Betrachter Gedanken machen, was das von Herold geschaffene Standbild zum Ausdruck
bringt:

Wir sehen den Titan, der die Erde trägt aber anders als bei herkömmlichen Atlas Standbildern,
ist er nicht einsam, er hat Gesellschaft: zwei nackte Jünglinge assistieren ihm beim Tragen
seiner schweren Last.

Die beiden Jünglinge symbolisieren die damals neuen Techniken, der auf der nördlichen Seite
den Dampf und der auf der südlichen Seite die Elektrizität. Die Aussage ist also:
„Wenn wir die Unterstützung der neuen Technologien annehmen, wird es uns helfen, die Last
der Welt zu tragen.“

Mit dieser bildlichen Aussage machte Gustav Herold per Deklaration den Frankfurter
Hauptbahnhof zum Ort des Fortschritts. Diese kraftvolle Deklaration hatte Auswirkungen, sie
färbte ab auf den ganzen Stadtteil, der hier entstehen sollte.

Auf der damals noch unbebauten Fläche Richtung Stadt, entstand im Jahre 1905 die
Elektrotechnische Ausstellung, auf der zum ersten Mal in der Geschichte die Übertragung von
Wechselstrom über eine große Entfernung gelungen ist.

Man darf sagen, vom Gelände des Bahnhofsviertels aus begann die Wechselstromtechnik
ihren Siegeszug durch die Welt.

Hammer von Ettore Sottsass

Ich erzähle dies heute beim letzen Empfang meines soeben vergehenden Museums aus gutem
Grund. Ich hätte nämlich, wäre ich nicht ein begeisterter Hammersammler, all diese
Informationen nicht erhalten, hätte ich nicht an diesem Ort Hämmer, Geschichten und Fakten
gesammelt. Das Hammer Museum hat mich zunächst zum Stadtteilbildhauer und später zum
Chronisten des Bahnhofsviertels werden lassen, ich begann teilzuhaben und mich
einzumischen, bis mich die FAZ eines Tages fast zärtlich zum Dorfbürgermeister des
Frankfurter Bahnhofsviertels erklärt hat.

In meiner Rede zur Eröffnung des Hammer Museums habe ich behauptet:

»Es ist fast unwichtig, welchem Gegenstand man sich liebevoll zuwendet – wenn man es
nur lange und intensiv genug tut, dann erklärt er einem am End’ die Welt.«

Oh, my prophetic soul! Genau das trat ein. Erst erklärten mir die Hämmer das Bahnhofsviertel
und dann Stück für Stück, eröffneten sich mir neue Welten.

Polstererhammer

Dinge, die mich überraschten und die ich als Folge meiner Sammelleidenschaft nicht erwartet
hatte, geschahen:

Die Tatort Redaktion befragte mich als Experten, welchen Hammer sie für den Münster
Tatort „der Hammer“ verwenden sollten und so kam es, dass man Jan Josef Liefers alias Prof.
Karl-Friedrich Börne in der Hammerfolge des Münster Tatorts einen Hammer schwingen
sieht, den ich empfohlen hatte und der nach dem Ende der Dreharbeiten Teil meiner
Sammlung wurde.

Auch zwei unserer Stadtoberhäupter hatten mit der Sammlung zu tun. Petra Roth verehrte mir
einen von ihr handsignierten Hammer, mit dem sie ein Fass auf der Dibbemess angezapft
hatte, mit den Worten: „Hier, für Deine Sammlung!“ und Peter Feldmann besitzt die Hammer
Skulptur, die sie da drüben sehen, die den Titel trägt: Peter, Du bist der Hammer.
Normalerweise steht die Skulptur im Römer ich habe sie mir für den heutigen Tag von ihm
ausgeliehen und sie kommt wieder dahin zurück, wo sie jetzt hingehört.

Ein weiteres Highlight in der Geschichte des Hammer Museums war, dass der Erfinder
Walter Günther extra für das Hammer Museum eine Lücke in der Werkzeuggeschichte
schloss und das vielleicht skurrilste Exponat geschaffen hat, das ich zeigen durfte, eine
handbetriebene Schlagbohrmaschine, die einzige ihrer Art weltweit und dass der
Goldschmiedemeister Jürgen Bahles den kleinsten Hammer der Welt für mich hergestellt hat.

Der Höhepunkt dessen, was mir meine Hämmer ermöglicht haben, ist dass ich 61 Hämmer in
das von Hans Hollein erbaute Museum „Abteiberg“ für die große Hans Hollein Retrospektive
ausleihen durfte und sie dort, an prominenter Stelle, Teil dieser großartigen Ausstellung
waren.

Markierungshammer

Als Anfang dieses Jahres klar wurde, dass das Hammer Museum aus gebäudetechnischen
Gründen nicht weiter wachsen kann, weil sonst die nachträglich eingebaute
Balkenkonstruktion auf den Schuhmacherladen herunterzukrachen droht, dachte ich zuerst,
dass es an der Zeit sei, meine Hämmer aus dem Bahnhofsviertel herauszunehmen. Ich hatte

sie 14 Jahre lang ausgestellt und viele Besucher habe sie gesehen, bestaunt und angefasst, das
schien mir Erfolg genug für Hämmer im Bahnhofsviertel zu sein.

Dass es jetzt anders kommt und dass das Hammer Museum aus der Projektphase „Sammlung“
in die Projektphase „Konzentration“ übergeht, ist den vielen Protesten zu verdanken, die ich
ein weiteres Mal haben nachdenken lassen, was aus meinen Hämmern werden soll, und ob ich
tatsächlich die Möglichkeit, Geschichten mit dem Hammer zu erzählen, in Frankfurt allein
Jonathan Borofsky überlassen soll.

Metalltreibhammer Süd-Afrika

Ausschlaggebend und inspirierend war ein langes Gespräch mit dem Büroleiter des
Kulturdezernats, David Dilmaghani, der mich ermutigt hat, nach einer neuen Form für meine
Hammer Story zu suchen und die Erfahrung, dass es in der Hans Hollein Ausstellung bereits
einmal gelungen war, etwas zu präsentieren, was die Essenz meiner Sammlung sein könnte.
Die Essenz meiner Arbeit zieht nun eine Straße weiter, in die Kaiserstraße, genauer gesagt in
die Kaiserpassage in das Zukunftslabor „Rote Treppe“.

Dort werde ich die Installation, die einst im Museum Abteiberg stand, nachbauen, vielleicht
ein klein wenig variiert und ich werde die Installation wie folgt betiteln:
»Alles ist Erfindung, eine Hommage an Hans Hollein.«

Durch die Reduktion auf die 100 Hämmer und durch die neue, klare Struktur der Präsentation
geht von der Erzählung, wie ich sie in meinen Führungen durch das Hammer Museum
präsentiert habe, nichts verloren.

Alle Stars der Sammlung werden präsent sein: der kleinste Hammer der Welt, die Unikate, die
Signaturhämmer, der Glashammer von Kirsten Klöckner, der Hammer mit dem Wolfgang
Lenz seine Meisterprüfung gemacht hat und der Hammer mit dem ein Loch in die Berliner
Mauer geschlagen wurde und selbstverständlich der Tatort Hammer auch.
Auch am neuen Standort und in der neuen Form wird es Führungen geben, ebenso informativ
und ausführlich, wie einst im Museum.

Auch Frühstück unter Hämmern wird buchbar sein.
Das Frankfurter Hammer Museum gehört ab jetzt der Vergangenheit an, die Hammer Story
des Bahnhofsviertels aber wird, wie das Kunstwerke gut können, in Bälde das Zukunftslabor
Rote Treppe krönen.

Wie gesagt:

Hämmer sammeln ist ganz schön bekloppt, aber irgendwie cool.

61 Hämmer aus dem Frankfurter Hammer Museum in der Hans Hollein Ausstellung „Alles ist Architektur“ im Museum Abteiberg, Mönchengladbach, 12. April – 28. September 2014

Fotos:
Hammer Portraits, Thomas de Leon
Hammer Wand – Museum Abteiberg, Achim Kukulies

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